Spektakel im Vorbeifahren: Im «Ghan» durch AustralienVon Christiane Oelrich, dpa Darwin (dpa/tmn) - Australien ist Insel, Land, Kontinent und der sechstgrößte Staat der Welt. Die meisten Städte liegen an der Küste, teilweise tausende Kilometer voneinander entfernt. Das schreit nach Fliegen. Doch der Kontinent lässt sich auch gut per Zug durchqueren.
Zwei Lokomotiven, 800 Meter Zug und 2979 Kilometer Schienen vor der Brust: Zu Beginn der Bahnreise längs durch Australien knistert in Darwin das Reisefieber. In zweieinhalb Tagen zuckelt der «Ghan» durch den trockensten Kontinent der Welt, vom tropischen Norden bis Adelaide im Süden. Rotes Niemandsland liegt vor den Reisenden - und eine Menge Naturspektakel vor den Fenstern.
Der Zug kriecht in Darwin aus dem Bahnhof. Der wuchtige «Ghan» sieht in der städtischen Enge wie ein Elefant im Porzellanladen aus. Seine Welt ist das Outback, wo die Landschaft weit und die Bebauung extrem spärlich ist. Dort gewinnt er an Fahrt und beschleunigt auf 115 Kilometer in der Stunde. Der Zug rast aber nicht - er reist. Nichts muss so schnell wie möglich gehen, keiner ist gehetzt. Für die Passagiere ist der Weg das Ziel. Wer es eilig hat, fliegt lieber.
Die tropische Küstenlandschaft verliert sich schnell; die üppig grünen Büsche und Bäume werden schon auf den ersten 100 Kilometern immer spärlicher. Stahlblauer Himmel und weiße Wölkchen hängen über der berühmten rostroten Erde des Landes. Eine Riesenstaubwolke am Horizont verrät Leben - hier muss eine der riesigen Rinderfarmen sein. Im «Ghan» ist gerade Lunch angesagt: Gold- und Platinum-Gäste werden für den stolzen Preis, den sie hingeblättert haben, im Restaurant verwöhnt. Pilzragout und Lachssalat stehen auf dem Menü.
Der Zug stoppt in Katherine, rund 320 Kilometer südlich von Darwin. Die Passagiere können die spektakuläre Katherine-Schlucht erkunden, in der es Felsenmalereien der dort ansässigen Jawoyn gibt, eines der mehr als 500 Ureinwohner- oder Aborigine-Stämme. Nach der Weiterfahrt richtet sich die Zuggesellschaft langsam auf den Abend ein. Die untergehende Sonne strahlt die Landschaft glutrot an. Der Zug wirft nach Osten lange Schatten auf die Steppe. Wer rechts sitzt, bekommt den Sonnenuntergang mit, die Gäste links müssen auf «ihr» Naturspektakel, den Sonnenaufgang, bis zum Morgen warten.
In den Abteilen lassen die «guten Feen» des Personals die Betten herunter. In der Goldklasse teilen sich zwei Reisende ein Abteil mit Etagenbetten, die Platinum-Kabinen haben ausgeklappte Doppelbetten. Es ist stockfinster draußen. Keine Lichtquelle trübt den Horizont. Der Zug ruckelt unter Aufsicht von Dean Duka sanft über die Schienen. Sein Albtraum in den gut 55 Stunden bis Adelaide: Verspätung durch Überschwemmungen, Frachtzüge oder technische Probleme. «Wer lange auf diese Reise gespart hat und in Katherine oder Alice Springs nicht genug Zeit für Ausflüge hat, wird zurecht stinksauer», sagt er.
Der «Ghan» unternahm 1929 seine Jungfernfahrt. Damals wurde der Abschnitt von Adelaide bis Alice Springs im Zentrum Australiens eröffnet. Es sollte 75 Jahre dauern, bis die Gleise 2004 auch Darwin erreichten. Benannt wurde der Zug nach afghanischen Kameltreibern, die den Kontinent im 19. Jahrhundert erschließen halfen.
Dean Duka ist an diesem Tag entspannt. Auf die Minute pünktlich rollt der Zug in Alice Springs ein. Viele Reisende unterbrechen hier die Fahrt für ein paar Tage. Es gibt jede Menge Ausflugsziele, darunter die spektakuläre Sandsteinformation Uluru, früher Ayers Rock genannt, und Hermannsburg, wo deutschstämmige Missionare im 19. Jahrhundert damit begannen, Ureinwohner zu Christen zu machen.
Von Hermannsburg zwei Stunden entfernt ist das Palm Valley mit dem Aborigine-Namen Mpulungkinya. Hier sind die letzten Überreste der üppigen Tropenlandschaft zu sehen, die Australien einst nicht nur im Norden bedeckte. 12 300 Palmen stehen in der Schlucht zwischen den roten Felsen, teils mehr als 30 Meter hoch und 100 bis 300 Jahre alt. Das Tal kann nach einer Fahrt in einem Bus mit Allradantrieb nur zu Fuß erkundet werden - und das ist ein Ohren- und Augenschmaus: Vögel, Zikaden, Bienen, rote Kerzenblumen, gelbe Büsche, so etwas wie blaue Mini-Veilchen und grüne Büsche in allen Schattierungen sind zu sehen.
Alice Springs macht einen gespaltenen Eindruck. Hier die weißen Australier, da die Ureinwohner, die am Sonntag auf dem Flohmarkt in der zweiten Reihe auf der Wiese sitzen und Malereien verkaufen. «Wir arbeiten daran, zusammenzuwachsen», sagt Deborah Rock, die eine rustikale, aus Holzplanken des alten «Ghan»-Zugs gebaute Pension betreibt. Sie selbst hat gerade angefangen, die Sprache der Arrente zu lernen, und eine Gruppe engagierter Einwohner träumt davon, Alice Springs irgendwann offiziell zu einer zweisprachigen Stadt zu machen.
Mit dem «Ghan» geht es nachmittags weiter. Wieder beginnt das Sonnenuntergangsspektakel. Vor dem Horizont im Westen zeigen sich die Bäume wie für immer verewigt als messerscharfe Scherenschnitte. Dann wird es Nacht, und nach einem weiteren farbenfrohen Sonnenaufgang rückt vor Adelaide das Urbane langsam wieder ins Blickfeld.
Außer in der Platinum-Klasse sind die Abteile nicht gerade üppig, aber der lange Zug bietet mit gemütlichem Salon und Restaurant jede Menge Auslauf. Wer in der billigsten Kategorie im Ruhesessel reist, muss mit Komfort wie in der Economy Class eines Langstreckenflugs rechnen, während die Natur langsam an den Fenstern vorbeizieht.
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